Als ich wieder in näheren Kontakt zur Kirche getreten bin, war ich der naiven Ansicht, es gäbe eine evangelische Kirche so wie es eben eine katholische Kirche gibt. Wenn Sie ob dieser groben Unkenntnis nur den Kopf schütteln können, dann kann ich Sie verstehen. Diese meine Ahnungslosigkeit kann ich heute auch nicht mehr fassen. Wie auch immer, es gibt zwar eine evangelische Kirche in Deutschland (EKD), diese besteht aber wiederum aus zwanzig (20!) selbstständigen Gliedkirchen. Also nichts mit violettem Block.
Irgendwann kam auch die verfasste evangelische Christenheit in Deutschland nicht mehr um die Tatsache herum, dass es immer mehr gleichgeschlechtliche Paare gibt. Nicht nur das, viele dieser Paare hätten gerne eine kirchliche Trauung oder den kirchlichen Segen zu ihrer Partnerschaft. Die Kirche hat sich mit diesem Thema sehr schwer getan. Thorsten Dietz beschreibt die Entwicklung in seinem Vortrag Homosexualität und die evangelische Kirche.
Gestern war ich auf auf einem Informations- und Diskussionsabend zur Einführung von Segnungsgottesdiensten für gleichgeschlechtliche Paare der evangelischen Stadtkirchengemeinde in Ravensburg. Referent war Pfarrer Manfred Manfred Metzger, Prälaturbeauftragter für Homosexualität und Kirche der Prälatur Ulm. Das hört sich nicht nur kompliziert an, sondern das ist auch kompliziert.
In der Landeskirche Württemberg darf eine Gemeinde nämlich nicht einfach so für sich beschließen, Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtige Paare durchführen. Nein, dazu muss eine interessierte Gemeinde zunächst verschiedene Stufen eines geordneten Prozesses durchlaufen. Erst dann kann sie loslegen, denn
es muss alles sei Ordung hon, sonscht ende mir im Chaos!
(alte Schwäbische Weisheit)
Es sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Die Zustimmung der für die Kirchengemeinde zuständigen Pfarrpersonen mit Dreiviertelmehrheit
- Die Zustimmung des Kirchengemeinderats mit Dreiviertelmehrheit
- Die Zustimmung der zuständigen Stelleninhaber der Pfarrämter und
- eine vertiefte inhaltliche Befassung der jeweiligen Kirchengemeinde mit dem Thema
(zu letzterem Punkt gehörte auch die Veranstaltung gestern)
Ich finde, diese Voraussetzungen haben schon die Qualität der Prinzipien von Türstehern angesagter Clubs: „Du kommsch hier net rein, guck mal wie Du aussiehsch…“ Das Problem ist nur, dass die Kirche in diesen Zeiten nicht unbedingt der angesagte Club ist.
Auffallend gestern war, dass das Publikum in der Mehrzahl gesetzteren Alters war. Offensichtlich sind Homosexualität im allgemeinen und der kirchliche Umgang mit ihr im besonderen für jüngere Semester kein Thema (mehr). Vermutlich ist der Zug an diesem Bahnsteig schon längst abgefahren. Die Bemerkung eines anwesenden Pfarrers, die evangelische (Glied-) Kirche in Hessen Nassau hätte bereits vor rd. dreißig (30!) Jahren das verhandelt, was in derzeit in Württemberg diskutiert wird, geht in diese Richtung. Laut dem Prälaturbeauftragten Metzger war die ELKW die 19. der zwanzig Gliedkirchen, die das Thema aufgegriffen hat. Sie nimmt damit den wenig ehrenvollen vorletzten Platz ein. Vielleicht besser spät als zu spät, werden manche meinen. IMO kommt die Beschäftigung mit diesem Thema nicht nur zu spät, sondern sogar viel zu spät. Aber das scheint für diese Landeskirche eher die Regel als die Ausnahme zu sein.
Mir als Kirchenglied ist dieses vorgeschriebene Prozedere eher peinlich. Ich habe mir überlegt, wie ich als Betroffener reagieren würde in Anbetracht der Mühe und Pein, mit der sich diese Kirche zu einer Entscheidung für oder gegen den Segen meiner Partnerschaft quält. Der Schluss, zu dem ich gekommen bin, findet sich in diesem Tweet:
Nähere Informationen zum Thema finden Sie hier:
- EKD: Theologische, staatskirchenrechtliche und dienstrechtliche Aspekte zum kirchlichen Umgang mit den rechtlichen Folgen der Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz
- ELKW: Kirche und Homosexualität, Informationen zum Thema
(Hier gibt es auch entsprechende Dokumente als pdf-Dateien zu Download)
Das Beitragsbild zeigt die Regenbogenfahne, gehisst vor der Kirche Heiligste Dreifaltigkeit, unserer katholischen Geschwistergemeinde in Ravensburg. Offensichtlich auch dort ein Thema.