Gedanken zur Jahreslosung

Wie fühlen Sie sich, wenn Ihnen jemand die Hand gibt, ohne Sie anzuschauen? Wie geht es Ihnen, wenn Sie bei einem Stehempfang ignoriert werden so „als seien Sie Luft“? Wenn Menschen Ihre Anwesenheit nicht zu bemerken scheinen und Sie merken, dass Ihr Gegenüber im Gespräch mit seinen Gedanken ganz woanders ist? Ich gestehe, mir geht es nicht gut dabei, mich beschleicht dann oft das Gefühl, irgendwie „minderwertig“ zu sein, auch wenn dieser Ausdruck vielleicht etwas übertrieben wirkt.

Peter Senge, ein Guru der Organisationsentwicklung, beschrieb in seinem „Fieldbook zur 5. Disziplin“ ein bemerkenswertes Begrüßungsritual der Stämme aus der Provinz Natal in Südafrika. Die Menschen dort begrüßen ihre Mitmenschen mit „ich sehe Dich“. Denn erst, wenn ich den anderen sehe, dann existiert er für mich. In anderen Fall übersehe ich ihn, ich nehme ihn nicht wahr. Und dann existiert sie/er für mich eben auch nicht. Und das spürt der/die Betroffene und fühlt sich ausgegrenzt, wie gar nicht vorhanden.

Wie schlimm das sein kann, erleben Obdachlose jeden Tag. Oft gehen wir an ihnen vorüber, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Vielleicht schauen wir sogar weg. Mit Absicht, denn sie stören. Und ja, auch ich habe mich schon des öfteren dabei erwischt.
In seinem Beitrag Das anonyme Sterben der Obdachlosen schreibt dazu Jürg Müller-Muralt:

Sie haben keine Bedeutung mehr für die Gesellschaft. Es gibt keinen Lebensbereich – sei das in der Begegnung mit anderen Menschen, beim Wohnen oder der Arbeit – in dem sie noch eine Rolle spielen.

Und die Überschrift eines Artikels von Susan Djahangard lautet:

Das Schlimmste ist, dass dich keiner wahrnimmt.

Wenn ein Funken Wahrheit ist im Satz Martin Bubers „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, dann ist das ein erschreckender Befund. Denn so kann kein wirkliches Leben mehr stattfinden.

Während ich also öfters wegschaue, um die Begegnung zu meiden, schaut Gott hin. Er sucht die Begegnung. So zumindest die Jahreslosung für 2023:

Du bist ein Gott, der mich sieht.

Genesis 16,13

Sagt Hagar, eine Frau, die es wissen muss.

Gott schaut nicht weg, sondern er sieht uns. Nicht im Sinn von Kontrolle, wie früher oft behauptet wurde, um die Menschen einzuschüchtern. Vielmehr nimmt er gerade die wahr, bei denen wir andere gerne wegschauen. Sie bedeuten ihm etwas. Und so begegnet er uns Menschen und so findet „wirkliches Leben statt“.

Die wunderbare Sandra Bils hat das mit ihrem Bild von Gottes geliebter Gurkentruppe gut beschrieben. Auch wenn wir Mitglieder im Club der Looser sind und gerne übersehen werden, ER sieht uns. Ist das nicht eine wunderbare Verheißung?

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Und die Obdachlosen? Vor einiger Zeit habe ich auf Twitter einen schönen Tipp von Thomas Mampel bekommen.

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Ich möchte in diesem Jahr diesen Hinweis immer mal wieder beherzigen. Um dann vielleicht dann auch den Menschen zu sehen und eine Begegnung zu haben.

Beitragsbild von Adrian Balea auf Pixabay.

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